Wie das Gehirn seine Meinung ändert – mit Dr. Roeland Dietvorst

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Wolfgang Stockner (bluesource), Dr. Roeland Dietvorst, Felix Gottwald, Werner Kubitscheck (netzeffekt), Martin Sprengseis-Kogler (mobile-pocket) © Evelyn Pirklbauer

Warum spielen Hummeln Ball und was können wir für unsere Produkte daraus lernen? Der international bekannte Neurowissenschaftler Dr. Roeland Dietvorst verriet es den Gästen unseres gemeinsam mit netzeffekt veranstalteten Meet & Greet. Und wir verraten es hier:

Wie Menschen Entscheidungen treffen

Die Gestaltung von Apps, Websites oder Werbemitteln ist eine sehr bewusste, geistige Tätigkeit. Nutzer*innen hingegen befinden sich während der Interaktion mit ebendiesen in einem sehr intuitiven Geisteszustand. Diese Diskrepanz ist die Ursache dafür, dass unsere Entwürfe oft zu unterwarteten oder sogar unerwünschten Wirkungen führen. 

Neurowissenschaftler haben belegt, dass die Entscheidungsfindung nichts mit bewusstem, rationalem Denken zu tun hat. Vielmehr jedoch mit reflexiven neuronalen Mechanismen, die außerhalb unseres Bewusstseins und unserer Kontrolle ablaufen. 

Beispiele, wie diese Mechanismen ablaufen und Tipps, wie Designs bzw. Marketing-Materialien auf der Grundlage der Gehirnforschung verbessert werden können, hat der international anerkannte Neurowissenschaftler Dr. Roeland Dietvorst bei unserem Meet & Greet gegeben.

Gewünschtes Verhalten belohnen

Haben Sie schon einmal eine Hummel Ball spielen gesehen? Naturgegeben ist es nicht, aber sie kann es lernen. Bewiesen haben das Forscher der Queen Mary University of London in einem Experiment: Die Tiere rollten einen Ball in ein Loch und bekamen daraufhin eine Zuckerlösung als Belohnung. Dies zeigt, wie groß die Lern- und Anpassungsfähigkeit der Insekten ist und wie Verhaltensweisen durch Belohnung gesteuert werden können. 

Schnelles und langsames Denken

Die wohl bekannteste Theorie der Verhaltenswissenschaft wurde vom Nobelpreisträger Daniel Kahneman aufgestellt. Sie beschreibt den Prozess des "schnellen und langsamen Denkens". 

System 1 ist das „ältere“ System. Es läuft automatisch und unterhalb der Bewusstseinsebene ab. Zu ihm gehören die geistigen Aktivitäten, mit denen wir geboren werden, z. B. die Bereitschaft, die Welt um uns herum wahrzunehmen, Objekte zu erkennen oder die Aufmerksamkeit zu lenken.
 
System 2 ist das langsamere, analytische, in dem der Verstand dominiert. Es wird aktiviert, wenn wir etwas tun, was nicht selbstverständlich ist und eine bewusste, geistige Anstrengung erfordert.

Etliche Studien haben gezeigt, dass das Gehirn innerhalb von 130 Millisekunden Entscheidungen für uns trifft. Das ist in etwa der halbe Weg des Prozesses, bevor uns bewusst ist, was wir sehen, oder wie wir entscheiden. 

Die Theorie des schnellen und langsamen Denkens hilft uns also zu verstehen, wie unser Verstand Informationen verarbeitet, und wie wir Verhalten in verschiedene Richtungen beeinflussen können. 

Mit Theorie in der Praxis gewinnen

Und wie hilft uns dieses Wissen jetzt in Bezug auf unser Design, unser Marketing oder unsere Produkte weiter? Hier sind ein paar praktische Tipps:

  • Je mehr „System 2“ beansprucht wird, um das Produkt zu verstehen, desto schwieriger wird es, den Kunden zu gewinnen. 
  • Wir können nicht überzeugend sein, wenn sich unsere Kund*innen nicht vorstellen können, wie es weiter geht.
  • Testen, testen, testen: Was bei einer Marke bwz. einem Produkt funktioniert, funktioniert nicht automatisch beim anderen. 
  • Es ist ein Irrglaube, dass die Menschen eine Marke lieben müssen, bevor sie kaufen. Die Wahrheit ist: (Digitale) Produkte muss reibungslos funktionieren sowie intuitiv und einfach zu benutzen sein. 
  • In Bewegtbild verwendetes Entertainment muss zur Markenbotschaft passen.
  • Gesichter sind immer gut, jedoch sollten Umgebung und die Richtung des Blickes passen: In Zeitungen oder Magazinen ist es sinnvoll, direkten Blickkontakt herzustellen, da sonst nachweislich weniger Verkäufe erzielt werden. Bei Bildern auf Landingpages, sollte der Blick des Menschen auf die wichtigste CTA verweisen. Andernfalls riskiert man einen Performance-Verlust.
  • Carousel-Slider auf Websites mögen schön wirken, erfordern jedoch immer wieder von Neuem die Aufmerksamkeit der User und unterbrechen damit die gewünschte User-Journey.
  • Beim Bewegtbild ist es besser wichtige Elemente nacheinander einzublenden. Der geschriebene Text sollte dabei exakt im gleichen Moment erscheinen, wie der gesprochene.

Deep dive gefällig?

Wer tiefer in diese Themen eintauchen möchte, dem empfiehlt Roeland Dietvorst folgende Bücher:

  • Thinking, Fast and Slow von Daniel Kahneman
  • Hooked: How to Build Habit-Forming Products von Nir Eyal
  • Predictably Irrational von Dan Ariely
  • Influence: The Psychology of Persuasion von Robert Cialdini


Zukunft bewusst gestalten

Vorprogrammiert oder einmal fest verankert, sind Verhaltensweisen schwer zu ändern. Wenn jedoch selbst Hummeln neue Fähigkeiten erlernen können, sollten wir das auch versuchen ;) 
Wer Motivation braucht, um seine Zukunft bewusst zu gestalten, holt sich die am besten in unserem Blogpost "Zukunft bewusst gestalten" mit Österreichs erfolgreichstem Olympiasportler Felix Gottwald.
 

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